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Wasserburger Zeitung – Shiva, eine Frau wie du und ich

Shiva, eine Frau wie du und ich

Ein Gespräch mit der iranischen Journalistin Shiva Akhavan Rad

Wenn ich mich – als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern – auf einem öffentlichen Platz bis auf die Unterwäsche ausziehen würde, mache ich das aus Protest. Vielleicht bräuchte ich in Deutschland noch ein Schild – Links, Rechts, Pro, Contra, Klima – damit ich von der Polizei festgenommen würde und in eine Psychiatrie käme. Ein Gutachten muss her, Medikation und meine Kinder würden von da an vom Jugendamt betreut werden. Ins Gefängnis käme ich wohl nicht und würde mir somit die Foltermethoden ersparen, die es ja auch hierzulande gibt, man denke jüngst an die Justizanstalt Augsburg. Allerdings, ob ich Deutschland als zweifache Mutter noch studieren könnte, ist fraglich.

Ahou Daryaei ist als iranische Freiheitskämpferin in aller Munde und wird hoffentlich nicht so schnell vergessen werden, wie die Frauen in Afghanistan, die nicht mal mehr ohne männliche Begleitung auf die Straße dürfen, geschweige denn in die Schule. Kein Aufschrei weit und breit. Genauso wurde der eben hingerichtete Deutsch-Iraner vier Jahre lang im Knast vergessen, nun da er tot ist, ist die Empörung groß, die Konsulate werden geschlossen. Aber, no problem, die iranische Botschaft in Berlin bleibt weiterhin geöffnet, so viel zu den Sanktionen.
Weitere Schlagwörter in unseren Köpfen: Vergeltung, Bomben, Sittenpolizei, „Frau, Freiheit, Leben“, männliche Machthaber mit Turban, Bart und langen Roben.

Und zwischen all dem gibt es Menschen wie du und ich, die trotz des politischen Irrsinns versuchen, ein ganz normales Leben zu führen.

Eine davon ist Shiva, und ich hatte das Glück, ihr begegnen zu dürfen.

Die schöne junge Frau wurde 1985 geboren und hat, seit sie „denken kann, eine tiefe Liebe zur Literatur und zum Kino“. Die freiberufliche Journalistin und Übersetzerin, lebt in Teheran und arbeitete unter anderem für das iranische Vegetarier-Magazin, übersetzte wissenschaftliche Artikel und fungierte als Moderatorin für den Podcast. „Als Veganerin bin ich der festen Überzeugung, dass Tiere das gleiche Recht auf Leben verdienen wie Menschen, und es macht mich traurig, dass viele sie immer noch als bloße Nahrungsquelle betrachten.“

Vor paar Jahren übersetzte sie das Theaterstück „Wer durchs Laub geht“ von Franz Xaver Kroetz ins Persische und wollte nun, mit dem Schöpfer dieses Werkes, ein Interview führen. Bis dato wurde sie von meinem Exgatte nicht erhört, aber dadurch kamen wir in Kontakt und es entstand ein Interview auf Farsi (mein Erstes!) und eine Brieffreundschaft.

Da mein Horizont ein sehr begrenztes Bild hat, bat ich sie, ihr Land zu beschreiben. „Für mich ist der Iran eine Landschaft voller Traumata und Kämpfe. Man muss Reife erreichen, um inmitten der Herausforderungen und der Dunkelheit, Liebe, Freude und Vergnügen zu entdecken und diese Gefühle für sich zu bewahren. Im Iran gibt es keine Chancengleichheit. Es fehlt oft an Meritokratie; die Berufsaussichten hängen in der Regel mehr von Beziehungen als von Bildung und harter Arbeit ab. Die Situation für Frauen ist sogar noch komplizierter, da Männer in der Regierung viele Aspekte unseres Lebens kontrollieren, einschließlich unserer Kleiderwahl. Der Iran ist eine zutiefst patriarchalische Gesellschaft. Ich habe zum Beispiel Bedenken, meine persönliche Me-Too-Geschichte mit einem bekannten iranischen Filmemacher zu teilen, denn die Auswirkungen könnten kompliziert, unangenehm sein.“

Auf meine Frage nach Gastfreundschaft folgt postwendend: „Ich lade Sie ein, in den Iran zu reisen! Die Iraner geben sich Mühe, Gäste in ihren Häusern willkommen zu heißen, und bieten ihnen unabhängig von der Tageszeit Speisen und Getränke an. Besonders auch während des persischen Neujahrsfestes (Nowruz). Sie sind offen für Gespräche mit Fremden und bereit, ihre Kultur und Traditionen zu teilen.“

Klingt verlockend, aber wie ist die Situation für Frauen?

„Frauen und Mütter sind für das Gefüge der iranischen Gesellschaft von entscheidender Bedeutung und bilden oft das Rückgrat von Familien und Gemeinschaften. Historisch gesehen haben sie bei zentralen Ereignissen, wie der Verfassungsrevolution und den jüngeren feministischen Bewegungen eine wichtige Rolle gespielt und zur Gestaltung der sozialen und politischen Landschaft des Landes beigetragen. In den letzten Jahren haben sich iranische Frauen deutlich gegen die traditionellen Geschlechterrollen ausgesprochen, vor allem durch die weit verbreiteten Proteste gegen das Hijab-Gesetz. Bei diesen Demonstrationen geht es nicht nur um den Hidschab, sondern um einen umfassenderen Kampf für persönliche Freiheiten und Rechte, bei dem die Frauen mehr Autonomie fordern und festgefahrene gesellschaftliche Normen infrage stellen. Als Schlüsselfiguren in diesen sozialen und politischen Bewegungen haben iranische Frauen immer wieder ihr Engagement für ihre Rechte und Freiheiten unter Beweis gestellt und damit gezeigt, wie wichtig sie für den sozialen Wandel sind und andere inspirieren.“

Wow, mit einer so leidenschaftlichen Antwort hatte ich nicht gerechnet. Aber stimmt es, dass Frauen in der Öffentlichkeit nicht singen oder tanzen dürfen?

„In manchen Zusammenhängen, insbesondere nach der islamischen Revolution von 1979 im Iran, ist es Frauen verboten, in der Öffentlichkeit solo zu singen. Schiitische Führer argumentieren, dass die Stimme einer Frau auf Männer provokativ wirken kann, was zu einem Verbot von Einzelauftritten geführt hat. Frauen dürfen zwar am Chorgesang teilnehmen, Solodarbietungen sind jedoch weiterhin streng verboten. Auch das Tanzen in der Öffentlichkeit ist für Frauen verboten, was ein allgemeines Bestreben des Regimes widerspiegelt, die soziale Präsenz und die Körperbewegungen von Frauen entsprechend ihrer Auslegung von „moralischem“ Verhalten zu kontrollieren. Trotz dieser Beschränkungen gibt es Fälle, in denen junge Frauen frei auf der Straße tanzen, speziell im Anschluss an die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“.“

Beeinflusst die Generation Z die iranische Gesellschaft?

„Die Generation Z im Iran engagiert sich aktiv im Internet und nutzt Social-Media-Plattformen wie Twitter, Instagram und Telegram, um Informationen auszutauschen und Unterstützung für verschiedene Anliegen zu mobilisieren, insbesondere angesichts der staatlichen Zensur. Durch die Nutzung von VPNs und Proxy-Netzwerken umgehen junge Iraner effektiv die Beschränkungen und spielen eine entscheidende Rolle bei Bewegungen wie den Protesten „Frau, Leben, Freiheit“. Diese Generation ist sich zunehmend globaler Probleme bewusst und ist bereit, gesellschaftliche Normen in Bezug auf Menschenrechte und Frauenrechte in Frage zu stellen, was zu einer wachsenden Nachfrage nach Reformen führt. Kulturell führt die Generation Z den Wandel in Kunst, Musik und Literatur an, oft durch Untergrundszenen, die sich gegen strenge Zensur wehren.“

Und was sind Ihre Visionen für die Zukunft?

„Es macht mir Spaß, für den Veganismus zu werben und andere zu ermutigen, kein Fleisch zu essen. Abgesehen von Tierrechten und Umweltbelangen gibt es noch ein weiteres wichtiges Thema: Erhitztes Fleisch kann krebserregend sein, und wissenschaftliche Untersuchungen belegen dies. Leider wird diese Information von der Viehzucht- und Milchindustrie oft heruntergespielt. Selbst wenn man sich keine Sorgen um das Wohlergehen der Tiere oder den Planeten macht, ist es für die Gesundheit von Vorteil, auf Fleisch, Milchprodukte und Eier zu verzichten. Die Umstellung auf eine vegane Lebensweise kann zudem kostengünstig sein und bietet eine breite Palette an köstlichen Optionen, darunter Eintöpfe, Suppen, Desserts, Sandwiches und Pizza.“

Shiva, ich wünsche, dass wir uns irgendwann persönlich begegnen.

© Marie Theres Relin – Teilweise erschienen in der Wasserburger Zeitung / OVB 11.12.2024

Foto: Shiva Akhavan Rad – Region18