Du betrachtest gerade Zeitanfrage – Eine Persiflage von Marie Theres Relin

Zeitanfrage – Eine Persiflage von Marie Theres Relin

  • Beitrags-Autor:
  • Beitrags-Kategorie:News

Zeitanfrage

Eine Persiflage von Marie Theres Relin

Letzthin bekam ich eine Casting-Anfrage: Für eine Werbung wurden zwei „starke“ Schauspielerinnen im „besten Alter“ zwischen 50 und 70 gesucht. Bitte, beide Szenen sollten fürs eCasting gespielt werden, macht ja keine Arbeit. Das ging ungefähr so: Berühmter Moderator, Protagonist der Story, bei dem man sich nicht fragen muss, wer Millionär wird, steht neben der starken Lady im Lift. Sie fragt ihn, wohin er gehe; er antwortet ihr, dass er seine „Geschäfte“ mit „App XY gelöst“ machen könnte und zeigt ihr gleich noch, wie’s geht. Sie, zu blöd, mit einer App oder einem Handy umzugehen – wohlgemerkt, wir sprechen noch immer von der starken Frau im besten Alter – kann ihr Glück gar nicht fassen, endlich einen Mann getroffen zu haben, der ihr zeigt, wie’s geht. In der zweiten Szene in der Hotellobby flippt sie gleich ganz aus, weil der Herr der Schöpfung die Güte hatte, sie über die besagte App aufzuklären und schreit „Eine Revolution!“ und zwar so laut, dass sich die Gäste in der Lobby umdrehen. Während der Moderator, ein altes, hutzeliges Männchen, nach dem Spot, – bei dem ein Mann Regie geführt hat (wie könnt es auch anders sein) – mit einem Schubkarren voll Kohle nachhause trabt, bekommt sie gerade mal einen Drehtag bezahlt. Wir schreiben das Jahr 2024 und wir sind immer noch nicht zeitgemäß? Mansplainig vom Feinsten!

Wenn man sich das Bild der Frau im Film und speziell in der Werbung anschaut, zieht es einem fast die Schuhe aus. Die filmische Blütezeit erreicht Frau vom jungen Mädchen bis zur erotischen Geliebten um die maximal 40 Jahre. Danach verblüht sie im Eiltempo und mutiert zur meist dämlichen Hausfrau, zur begriffsstutzigen, schlauen oder heimtückischen Ehegattin im Hintergrund, der geschwätzigen Nachbarin, der Oma mit Rollator oder von der verbissenen Alten bis zum ekelhaften Drachen. Dazwischen gibt’s noch ein paar Prostituierte und Kriminalbeamtinnen. Das war’s dann auch schon. Heldinnen kommen seltener vor, das Heldentum ist Männern vorbehalten. Sogar im Supermarkt gibt’s die Superhelden oder die Papis mit Baby im Tragetuch. Hä, dabei sind doch Frauen die größten Konsumenten in der Gesellschaft? Die kaufen wirklich alles: vom Auto über die Windel bis zum Blumenkohl. Aber nein, wir Frauen berufen uns weiter auf den Meister, der zwinkernd für uns putzt, während der moderne Papi mit seinem Auto durch die Gegend gurkt, ein chaotisches Wochenende mit den Kids verbringt, die das „geil“ finden und nach Wiederholung schreien. Und als Highlight taucht der Mann in die Tierwelt ein, wird zur niedlichen Raupe, entpuppt sich beim Stichwort „Frühling“, so als sei’s seine Geburt und das alles für einen Baumarkt. Und wohlgemerkt immer ohne Mutti, die soll mal schön Zuhause bleiben – Papi macht das schon.

Die guten weiblichen Rollen – gerade im Alter – kann man quasi an zehn Fingern abzählen und diese sind jeweils immer mit den zehn gleichen Stars besetzt.
Der Gag an der ganzen Sache ist: Wir Frauen sind in Deutschland an der Überzahl! 43 Millionen und somit um eine Million mehr als Männer. Wir haben die höhere Lebenserwartung, die größere Kaufkraft und die Ladys jenseits der 40 und aufwärts machen ein Viertel der Bevölkerung aus. Worauf warten wir noch? REVOLUTION!

Ach, fuck, nach 22 Jahren Hausfrauenrevolution kann ich getrost sagen: Es hat sich nichts, aber auch gar nichts geändert. Außer dem „Gendern“ und der „Quotenfrau“ – aber die gibt’s im Film eh nicht. Gesetz hin, Gesetz her.

„Hallo, hört mich jemand? Hallo? Hallo! Ja, bitte, lasst mich doch mitspielen. Von mir aus auch eine Oma. Wie junge Omas gibt’s nicht? Im Film vielleicht, aber ich bin eine in Echt! Geht klar, mit 18,5 Prozent weniger Gehalt. Das ist bei uns Frauen so Usus, dass wir für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden als ein Mann. Und gerne, kleine Rollen sind super, da muss man weniger Text lernen. Buy-out, kein Thema. Was? Botox, keine Falten? Geht klar. Soll ich mich vielleicht mit gleichgeschlechtlicher Liebe outen, wäre die Rolle dann größer? Ah, ich verstehe, Sex im Alter ist nicht. Wie, Behinderung wäre fördernd? Ja, gut, ich hacke mir gleich morgen ein Bein ab, Hauptsache ich darf mitspielen, falls eine der fünfzig Konkurrentinnen absagt. Finger würde auch reichen … prima, ich freue mich so sehr.“

Klappe. Finger ab. Shit, es war nur eine Zeitanfrage.

© Marie Theres Relin 2025

 

Diese Persiflage habe ich 2024 anlässlich des Internationalen Frauentags für ein „Frauenpower-Film-Online-Magazin“ geschrieben, aber meine Unterstützung mit dem Gedanken „Come on, let‘s change the pictures!“ war nicht erwünscht. Dann wollte ich einem anderen cineartistischen Magazin den Text schenken … aber auch hier, nicht mal eine Antwort. So viel zur Frauensolidarität und zur Pressefreiheit jenseits der Zeitanfragen.