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Trostberger Tagblatt – Herzensanliegen

Herzensanliegen

 

Das Inklusionsprojekt Kino Frauen aller Kulturen schaffte den Sprung von Trostberg in die Hauptstadt

 

von Marie Theres Relin

Ich muss zugeben, ich war aufgeregt. Mein Herzensanliegen, dass sich das Kino Frauen aller Kulturen bis in die Hauptstadt ausweitet, sollte Wirklichkeit werden. Vergangenen Donnerstag stand ich vor Münchens ältestem Kino, den Museum Lichtspielen und wartete. Die Sonne kitzelte auf der Haut. Als meine „Delegation Trostberg“ auf mich zukam, wurde mir ganz warm um Herz. Es fühlte sich an wie heimkommen. 13 Jahre lang habe ich in Trostberg gelebt, geprägt haben mich aber erst die letzten drei Jahre, da fand sozusagen meine eigene Integration statt. Durch die Brückenschule. Als ehrenamtliche Lehrerin unterrichtete ich die Frauengruppe. Neben den Flüchtling-Ladies und ihren Kindern hab ich vor allem auch das Orga-Team (Marianne Penn, Simone Ishaq, Brigitte Bartl) und die Lehrkräfte lieb gewonnen. Was für tolle Frauen habe ich hier kennenlernen dürfen. Menschen, die den Begriff Herzensbildung leben! MacherInnen, die agieren und nicht nur reden. Es ist mir im Nachhinein sowieso unbegreiflich, dass ich zehn Jahre lang beispielsweise einer Marianne Penn nicht über den Weg gelaufen bin? Diese großartige Frau ist ja wirklich nicht zu übersehen und mit ihrem Lachen auch nicht zu überhören.

Jetzt, mitten in München, war es wunderbar sie alle nach so langer Zeit in den Arm zu nehmen: Brigitte Bartl, Martina Gehrmann, Ilse Huber, mit denen ich gemeinsam den Unterricht gestalteten durfte und Brigitte Schirm kamen mit dem Zug angereist. Mit dabei meine afghanische Freundin Hasina mit ihren drei Kindern und ihrer deutschen Mama. „Ich habe keine Kinder, aber jetzt habe ich eine Tochter und Enkelkinder“, sagt Hanni Kerschbaumer stolz, die sich um Hasina und ihrer Familie seit fünf Jahren kümmert. Hasina, war auch mein Anfang. Sie brachte mich auf die Idee das Kino Frauen aller Kulturen ins Leben zu rufen. Anlass war ein Brückenschulausflug, der wegen schlechtem Wetter vom Park ins Stadtkino verlegt wurde. Ich fand mich in der Kinder Vorstellung als einzige Frau unter vielen Männern wieder. Es ist zwar löblich, dass Papis mit ihren Kindern im Kino sitzen, doch wo waren die Frauen abgeblieben? Hasina klärte mich auf. Vielen Müttern war es aufgrund ihrer kulturellen Herkunft, ihrer Religion oder auch ihre erlittenen Traumata nicht möglich sich mit fremden Männern in einem dunklen Raum aufzuhalten. Daran hatte ich nicht gedacht! Es war nur logisch, dass Frauen einen geschützten Raum brauchen. Für sich!

Gesagt, getan: 2017 gründete ich gemeinsam mit dem Orga-Team der Brückenschule das Kino Frauen aller Kulturen in Zusammenarbeit mit Christoph Loster. Von da an mutierte einmal im Monat das Stadtkino zum multikulturellen Treffpunkt, manchmal tummelten sich bis 20 Nationen im Kinosaal.
„Kino ist Urlaub“, sagte mir jedes Mal Flüchtlingsfrau Anna im gebrochenen Deutsch und nahm mich in den Arm. „Popcorn“ war für die Kinder das Zauberwort, das es gratis zum kostenlosen Film gab. Diese innigen Umarmungen, die ich von den Frauen und Kindern erfahren durfte, ich spüre sie heute noch. 2019 bekamen wir den Integrationspreis – mit dabei bei der Preisverleihung Hasina (!) – und unser Inklusionsprojekt expandierte nach Wasserburg.
Kino ist mehr als nur Filme zu zeigen. Und dann kam Madame Corona und verordnete uns eine Zwangspause. Dennoch ließ sich nicht von meinem Traum ab, das Projekt nach München zu bringen. Ich hatte in Matthias Stolz und seinen Museum Lichtspielen ein Kino gefunden, erhielt von der Stadt viel wohlwollende Worte, doch es scheiterte an Fördermittel. Ich erzählte meiner Freundin, Schauspielerin Monika Baumgartner davon, die spontan zehn Vorstellungen à 180 € mit einer Spende unterstützte. Der gemeinnützige Verein KulturRaum, der es sich in München zur Aufgabe macht „Einfach. Kultur für alle.“ zu ermöglichen, wurde unser Partner.

Ich war aufgeregt, meine „Trostberger Delegation“ gab mir Halt. Würde das Projekt auch in München ankommen? Und dann sah ich sie um die Ecke biegen, die Frauen und Kinder in bunten Farben: Afrikanische Mamis in den schönsten Kleidern, afghanische Frauen im wunderschönen Roben und auch deutsche Muttis – alle hatten sich rausgeputzt für diesen besonderen Tag. Ich konnte gar nicht anders, die Emotionen rutschten aufwärts vom Bauch in den Hals und schlussendlich hatte ich Tränen in den Augen. Ich war einfach zu tiefst berührt. Einstimmig waren wir uns einig „Mei, is des schee.“

Auch hier in München tobte der Kinosaal in erfrischender Lebendigkeit. Wie schon so oft zitierte ich Hasina als meine Vorzeigefrau vors Publikum. Auch ihr Körper bebte vor Aufregung, das beruhigte mich. Trotzdem erklärte sie in greifenden Worten wie wichtig ihr dieser Kinonachmittag ist, sie hatte bis dato keinen verpasst. Und überhaupt, wir alle seien für sie Familie, Mama, Oma, Freunde, einfach alles.

Man kann es sich kaum vorstellen, aber selbst in einer Großstadt wie München war es für viele der allererste Kinobesuch in ihrem Leben. Für Frauen wie auch Kinder. Für letztere, die die große Leinwand doch etwas fürchteten, stand ich zwischenzeitlich als dreifache Leihoma zur Verfügung und die Kids hielten mich auf Trab! Einen Königreich für einen Kinosessel.
Nach der Vorstellung sah man viele strahlende Augen, erhitzte Gemüter und leuchtende, rote Wangen. Der magische Raum Kino und die furchtlose Häuptlingstochter Vaiana hatten die Herzen vieler erobert. Es funktionierte!
Und so hoffe ich, dass das Kino Frauen aller Kulturen auch wieder an seinem Ursprungsort wachgeküsst und zu neuem Leben erweckt wird.

Apropos: Zum Schluss möchte ich noch die Lanze für all die Ehrenamtlichen in Deutschland brechen. So kurz vor den Wahlen finden diese Menschen seitens der Politik kaum Erwähnung. Dabei gibt es in Deutschland geschätzte 31 Millionen Menschen (offiziell 16 Millionen), die eine ehrenamtliche Tätigkeit ohne Bezahlung bei Organisation, Initiativen und Vereinen ausführen. Sie setzen sich in Sport, Pflegeheimen, Feuerwehren, bei alten und kranken Menschen und Bedürftigen aller Art ein. In allen Wahlprogrammen der unterschiedlichen Parteien habe ich keine gesonderte Erwähnung dieser Hilfskräfte gehört, außer den wohlwollenden Applaus für das ehrenamtliche Engagement, aber davon kann man sich nichts kaufen.

In Trostberg gab es 2017 allein 240 Flüchtlinge, darunter 60 Afghanen, alle mit Abschiebebescheid. Wir wussten schon damals, das Afghanistan kein sicheres Herkunftsland ist. Die Trostberger Tafel zählte 300 Bedürftige, die meisten davon waren oder sind Deutsche. 66 ehrenamtliche Helfer waren an der Tafel, 35 Lehrkräfte zum Höhepunkt in der Brückenschule und dazu 150 ehrenamtlich Engagierte. Eine Stadt rutschte zusammen.

WIR schaffen das.

Und trotzdem erhalten diese vielen ehrenamtlichen Wohltäter, die das gesellschaftliche Leben in Deutschland überhaupt möglich machen, genauso viel Anerkennung wie Mütter und Familien, die die Basis unserer Gesellschaft sind: NICHTS. Außer die innigen Umarmungen von Mensch zu Mensch.

Aber wäre es nicht Zeit hier ein Punkte-System bei der Rente einzuführen? Für jedes nachweisliche Jahr als ehrenamtlicher Diener des Staates eine kleine Anerkennung? Ähnlich wie die wenigen Erziehungsjahre (3 pro Kind, aber immerhin) einer Mutter anerkannt werden?

Ich hatte der Stadt Trostberg anno dazumal eine weitere Form der Mini-Anerkennung vorgeschlagen: Jeder ehrenamtlich Engagierte sollte von der Stadt ein Wapperl fürs Auto bekommen, in einer bunten Farbe und Slogan „Gemeinsam sind wir stark“. Der Sticker an der Windschutzscheibe sollte als Ausweis gelten gratis parken zu dürfen. Leider wurde meine Idee nicht angenommen. Dabei wäre ich mir sicher, würde dieses „Belohnungssystem“ in München eingeführt werden, der Zulauf von ehrenamtlichen Mitarbeitern wäre sicherlich gigantisch.

Ich verneige mich jedenfalls vor diesen Frauen, Männern und Jugendlichen, die ihre Zeit dem Allgemeinwohl zur Verfügung stellen und durch ihr Engagement die Gesellschaft positiv verändern.

Ohne euch geht NICHTS!!! Danke.

 

Spenden-Konto in Trostberg:

Sozialfonds der Stadt Trostberg IBAN DE56 710 520 50 0000 102 103
Kennwort: „Brückenschule – Frauenkino“

© Marie Theres Relin erschienen im Trostberger Tagblatt, PNP, am 18. September 2021