Ein Getriebener auf den Spuren der Zeit
Wasserburg – Hubertus Meyer-Burckhardt war in der Stadt.
Aber nicht alleine – er brachte einen ordentlichen Männerschnupfen mit. Auf dem kleinen Tisch im Wasserburger Kino Utopia lag daher nicht nur sein neuestes Buch „Diese ganze Scheiße mit der Zeit“, nein der Platz reichte gerade noch aus für Medizinfläschchen, Honigglas, Thermoskanne und Teetasse.
Der Filmproduzent, Talk-Master und Autor spielte bei seiner Lesung eineinhalb Stunden lang nicht den Entertainer, er ist tatsächlich einer. Im Rahmen des Filmprojekts Region 18 – Wir holen die Stars aufs Land“ – hatte Schauspielerin Marie Theres Kroetz Relin Hubertus Meyer-Burckhardt zu einer Lesestunde in die Innstadt eingeladen.
Bevor der Herr aus dem hohen Norden im beinahe ausverkauften Kinosaal richtig loslegte, signierte er im Foyer des Hauses nicht nur sein letztes Werk „Diese ganze Scheiße mit der Zeit“ sondern auch weitere Bücher, die aus seiner Feder stammen. Etliche amüsante Bemerkungen später, die Meyer Burckhardt über den harten Barhocker machte, der ihm während der Lesung als Sitzplatz diente, ging es gleich zur Sache. Immerhin spielt die Zeit die dominante Rolle in seinem neuen Buch.
Mit dem Phänomen Zeit kokettierte er schon als Kind, gab der heute 63-Jährige zu. Er wuchs in der Nähe einer Kirche auf und konnte daher auch immer wieder Beerdigungen beobachten. Sterben sei doch wirklich keine Option, ewiges Leben schon eher, so seine Kindheitsfantasien.
Meyer-Burckhardt lässt den Leser auf manchen Buchseiten tief in sein Innerstes blicken. Dabei kommen nicht nur der intellektuelle und optimistische Mensch, sondern auch eine getriebene Persönlichkeit zum Vorschein. „Das Leben ist kurz, auch wenn es lang ist“ – diesen weisen Spruch verdankt der Autor seiner Großmutter Christl. Und wie bedrohlich schnell die eigene Lebensuhr stoppen könnte, erfuhr Meyer-Burckhardt von zwei Jahren, als er mit einer Krebsdiagnose fertig werden musste. Die zwei Karzinome in seinem Körper scheinen nach Ansicht der Ärzte jedoch relativ faul zu sein, was der gewinnbringenden Zeit wiederum in die Hände spiele.
Im zweiten Leben Modeschöpfer
Warum läuft vielen Menschen die Zeit davon und wieso steht es dem Tod zu, das irdische Spiel plötzlich abzupfeifen? Sanfte Melancholie machte sich bei diesen Passagen des Buches breit – und zwar beim Vortragenden genauso wie beim Publikum, das Hubertus Meyer-Burckhardt schon längst in seinen Bann gezogen hatte. Für den deutschen Ausspruch „Ich habe keine Zeit“ gibt es in der mongolischen Sprache gar keine Übersetzung, erzählt der Autor, der sich aufgrund seiner angeknacksten Gesundheit selber rät, eine Affäre mit der Zeit zu beginnen. Eine Affäre mit einer anderen Frau wäre nämlich undenkbar, weiß der 63-Jährige ganz genau, denn dann würde seine Ehefrau die Rolle der Karzinome übernehmen und ihn töten.
Doch für Meyer-Burckhardts zweites Leben gibt es bereits Ideen: „Mir schwebt vor, in Italien Modeschöpfer und Parfümeur zu werden“, verrät der Autor, der nach der Lesung rasch seine Utensilien einpackte, dem Publikum noch eine gute Restlaufzeit wünschte und hinaus ins nächtliche Wasserburg verschwand.
© Huckemeyer, erschienen in OVB, Wasserburger Zeitung am 04.02.2020